Atelierbesuch

FEUERBACHER ATELIERBESUCHE:

AUF DER SUCHE NACH DER INNEREN HEIMAT

Die Malerin Tanja Maria Ernst ist die Grossnichte des berühmten Künstlers Max Ernst, trotzdem ist ihr diese gewichtige Hausnummer nicht besonders wichtig, ist sie doch selbst längst eine echte Könnerin auf ihrem Gebiet.

(sm) – Eine utopische Landschaft, ein Historiengemälde mit Jagdhunden, eine Madonna wie von einem Andachtsbild. Die Motive von Tanja Maria Ernst wirken erst vertraut und werden dann immer fremder: Hier lösen sich einzelne Schichten ab, dort wirken sie wie erst halb fertig gestellt, und am Rand ist die Skala der verwandten Farben stehen- geblieben. Sie sind im Wandel, wie das gesamte künstlerische Werk der Feuerbacherin. Ein Besuch in ihrem Atelier wird auch zum Nachdenken über den Kunstbetrieb.

Tanja Maria Ernst sucht im Vertrauten das Fremde und im Fremden das Vertraute. Lange waren es Versatzstücke aus ihrer eigenen Kindheit, die immer wieder in ihren Gemälden auftauchten: Sie selbst als kleines Mädchen, das geliebte Stofftier, Kinderspiele, Familienmitglieder. Schon hier zeigt sich ihr großes Thema: die Suche nach der inneren Heimat. Später intensivierte sich der Gedanke noch. „Heimat ist für mich etwas, das ich mit mir trage, das mich umgibt wie ein Kokon“, sagte sie damals. Dieses Gefühl der Geborgenheit und Zugehörigkeit lässt sich nicht mit einer Ansteckflagge definieren, wie sie spätestens zur Fußball- Europameisterschaft dieses Jahr wieder an den Autos auftauchen werden.

Die innere Heimat der Künstlerin bleibt, auch wenn sie die Ausrichtung ihrer Arbeiten immer wieder verändert. So wie jetzt gerade: War sie lange für ihre fast alt- meisterlich aufgebauten und feinteiligen Gemälde bekannt, hat sie sich nun neuen Arbeitsweisen zugewandt, der Aquarellmalerei und dem Einsatz experimenteller Materialien, wie zum Beispiel der Verwendung von wasserlöslichen Stiften und Kreiden. Detailverliebt sind diese neuen Arbeiten noch immer, aber sie geben auch etwas vom Prozess ihrer Entstehung preis: Die Farbmarker am Rand, die die einzelnen verwandten Farben auflisten.

Die unvollendeten Stellen, die quasi einen Blick durch die Farbschichtungen zulassen.
Das aber unterscheidet sie von anderen erfolgreichen Kollegen. Oft ist es nämlich so, dass bildenden Künstlern das Experiment mit Arbeitsweise und Thema nur so lange zugestanden wird, bis sie die für sie charakteristische Handschrift gefunden haben. Danach wird jede größere Veränderung als Gefahr für die Wertsteigerung des Oeuvre empfunden. Anders ausgedrückt: Künstler sollen nur scheinbar wandelbar sein, weil ab einem bestimmten Punkt ihrer Karriere jede zu krasse Veränderung als unberechenbar und riskant wahrgenommen wird. Was übrigens auch der Grund ist, warum das künstlerische Werk, wenn überhaupt, erst nach dem Tod des Künstlers umfassend gewürdigt wird: Weil es erst dann sicher und unverrückbar abgeschlossen ist.

Tanja Maria Ernst hat ihre eigene Position im Kunstmarkt in den vergangenen Jahren gründlich überdacht und verändert. Das habe auch mit dem Tod der Mutter zu tun, deren Sterben sie begleitet habe, erzählt sie: Vieles was bis dahin extrem wichtig gewesen sei, hat in dieser Zeit seine Bedeutung verloren. Die Verwerfungen der Pandemie-Jahre taten ihr Übriges und Tanja Maria Ernst wandte sich vom Kunstzirkus ab: Sie arbeitet inzwischen ohne Galeristen, fertigt auf Auftragsbasis für einen kleinen, aber feinen Kundenstamm und will ihre Werke nur noch alle paar Jahre mal im öffentlichen Rahmen präsentieren.

Als durchaus erfolgreiche bildende Künstlerin hatte sie sich bis dahin den Vorgaben des Kunstmarktes angepasst: Um bundesweit und sogar international erfolgreich zu sein, muss man mit einer der handvoll renommierten Galerien unter Vertrag sein. Was vielen Künstlern wie die Erfüllung eines innig gehüteten Traums vorkommt, ist allerdings mit einigen Bedingungen verbunden. So erwarten diese Galeristen eine hohe Produktivität, also eine gewisse Anzahl von neuen Kunstwerken. Und die ist gerade für Künstler mit einem feinteiligen Arbeitsstil nur schwer zu leisten. Außerdem gilt: Sobald es ein Künstler zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat, soll sich sein Stil und sein Ausdruck nur noch wenig verändern, um eine gute Verkäuflichkeit der Werke zu gewährleisten.

Beides kann bildende Künstler vor Probleme stellen: Zum einen lebt Kunst vom Experiment und von der Veränderung und es ist völlig normal, dass sich der Ausdruck und die Arbeitsweise innerhalb des schöpferischen Prozesses alle paar Jahre verändern. Genau das möchte der Kunstmarkt aber nicht: Die Arbeiten sollen weiterhin frisch und innovativ wirken, aber sich nicht zu sehr vom bisherigen Werk un- terscheiden und den Wiedererkennungseffekt nicht gefährden. Auch werden die traditionelleren Techniken wie die Öl- oder auch die altmeisterliche Temperamalerei oft als „wertiger“ angesehen, als etwa die „flüchtigere“ Aquarelltechnik. Ein Wechsel der Arbeitsweisen wie bei Tanja Maria Ernst würde also von den meisten Galeristen nicht gerne gesehen. „Außerdem arbeite ich sehr langsam“, erzählt die Feuerba- cherin: „Es ist ist mir gar nicht möglich in den gewünschten Stückzahlen zu produzieren.“ Zumal sich ein solcher Zeit- und Arbeitsdruck sofort in der Qualität der Gemälde widerspiegeln würde.

Hinzu kommt: Die Suche nach den passenden Ausstellungsräumlichkeiten gestaltet sich für professionelle Künstler schwieriger als noch vor einigen Jahren, auch dies mit eine Folge der Corona- Jahre: Es gibt überwiegend nur noch Ausstellungsmöglichkeiten für Hobbymaler und dann wieder für die ganz großen Namen des Kunstmarktes, die von ihren Galeristen etwa bei der Biennale von Venedig präsentiert werden. Wer professionell arbeitet, aber nicht zur Créme de la Crème der Kunstszene gehört, findet kaum noch ansprechende Ausstellungsräume. Hinzu kommt: Die wenigen guten Präsentationsmöglichkeiten verlangen zunehmend eine Gebühr, die nicht, wie zuvor, an Verkäufe gebunden sind. Das heißt, das finanzielle Risiko liegt allein bei den Künstlern, die den allgemeinen Sparzwang jedoch deutlich stärker spüren, als die meisten anderen Berufsgruppen.

Tanja Maria Ernst genießt die Abkehr von den Regeln des Kunstzirkus umso mehr, weil sie sich nun wieder ihrer eigenen künstlerischen Vision widmen kann. Sogar die Landschaftsmalerei Plein Air hat sie wieder für sich entdeckt. Andererseits fließen auch immer wieder Anklänge an ihre eigene Religiösität ein, auch dies etwas was sich im Umgang mit dem Sterben der Mutter verdichtet hat. Die aktuellen Arbeiten wirken verspielt und vielschichtig, aber ihnen wohnt auch eine gewisse Flüchtigkeit inne.

Und dann hat sie auch noch eine neue Technik entwickelt, die sie anhand einer eigenartig versponnenen Arbeit erläutert: Das Motiv ist eine mediterran anmutende Ansicht eines Gebäudekomplexes mit einer wilden Versammlung von Dinosauriern und Comicfiguren. Es handelt sich hierbei um eine überzeich- nete und übermalte Fotografie, die Tanja Maria Ernst im Italien-Urlaub festgehalten hat, ein vormaliges E-Werk war dort in eine Art Freizeitpark verwandelt worden – manchmal ist die Wirklichkeit fast noch versponnener als die Fantasie. Und aus der feinteiligen Überarbeitung wird aus der Vervielfältigung wieder ein Unikat, lässt sich aber in seiner ganzen Detailver- liebtheit zügiger umsetzen.

Es ist offensichtlich: Nach der Abkehr vom traditionellen Kunstzirkus ist die bildende Kunst nun ebenfalls wieder der Teil ihrer inneren Heimat. Die Luft im Feuerbacher Atelier vibriert jedenfalls vor schöpferischen Möglichkeiten und auch sonst geht es nun voran: Gerade hat die Künstlerin ihren Internetauftritt www.mariaernstart.com neu gestaltet und im Herbst möchte sie ihre neuen, befreiten Arbeiten auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen, am 28. und 29. September im Kunstraum 5. Spreuergasse 5, in Bad Cannstatt.

Quelle: Feuerbach Go - 06/ 2024 - schmidtroeder Ltd

Text: Susanne Müller-Baji

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